Empfehlungen

Mason Currey: Musenküsse. Die täglichen Rituale berühmter Künstler

Schaut man auf den Zeitplan, den ich zum Schreiben meiner Bachelorarbeit erstellt habe, sollte ich mindestens schon zehn Seiten vorweisen können. Was ich tatsächlich habe, sind eine grobe Gliederung und ein großer Stapel Literatur. Was aber ist zwischen meiner anfänglichen Motivation und der gähnenden Leere in dem Worddokument bachelorarbeitbisoktoberbistdufertig passiert?

Ganz klar, das Wetter war Schuld, möchte ich sagen. Zu viel Sonne, zu viele Nachmittage im Park, zu viele spontane lass-uns-nochmal-losziehen nur-auf-ein-bier-ehrlich ist-so-ein-schöner-abend der-sommer-ist-so-schnell-vorbei… Aber, wenn ich ehrlich bin, im Winter sähe meine Bilanz nicht viel besser aus. Was ist es dann, was mich so unproduktiv sein lässt, frage ich mich oft.

Und dann fielen mir die „Musenküsse“ in die Hände – „Die täglichen Rituale berühmter Künstler“, so der Untertitel. „Schau dir doch mal an, wie die das machen,“ dachte ich mir.

Tatsächlich entdeckte ich sogar erste Überschneidungen zwischen meiner Arbeitsweise und der dieser großen Künstler: Simone de Beauvoir, Voltaire, Edith Sitwell, Truman Capote und ich, wir alle schreiben am liebsten im Bett! Auch Ingmar Bergman scheint mir aus der Seele zu sprechen, wenn er sagt, er sei bei acht Stunden Arbeit, wenn er Glück habe, zehn oder zwölf Minuten produktiv. „Vielleicht aber auch gar nicht. Dann muss man sich auf weitere acht Stunden einstellen und beten, dass dieses Mal zehn gute Minuten dabei sind.“

Am liebsten wäre es mir natürlich, wenn ich wie Sartre „auch ohne allzu viele Arbeit produktiv“ sein könnte. Letztendlich muss ich aber einsehen, ich brauche einfach den Druck des Abgabetermins im Nacken (auch diesen Text hier schreibe ich am Abend vor der Abgabe – in meinem Bett, natürlich), da ging es Frank Lloyd Wright scheinbar ganz ähnlich, den störte es auch nicht, „in letzter Sekunde kreativ werden zu müssen“ und er begann erst zwei Stunden vor der Abgabe mit seinen Zeichnungen.

Beruhigend zu sehen, dass sie es alle in dieses Büchlein geschafft haben: die Fleißigen, die Zerstreuten, die Frühaufsteher – alle waren schlussendlich produktiv und haben Großes hervorgebracht. Diese Hoffnung hab ich nun auch wieder; es würde dennoch nicht schaden, wenn mich ein Fellini um 7 Uhr morgens anrufen und mit seinem Tatendrang anstecken würde.

Die „Musenküsse“ sind kein Ratgeber für produktives Arbeiten, sondern eine wunderbare Sammlung der Alltagsroutinen genialer und erfolgreicher Persönlichkeiten, die Mason Currey zusammengetragen hat. Sie sind jedem ans Herzen gelegt, der sich fragt, wie schaffen die das eigentlich, der neugierig ist, nicht auf die Bedeutung, sondern auf die Entstehung der Werke, und zu guter letzt jedem, der auf Partys gerne mit lustigen Anekdoten im Mittelpunkt steht.

Eine hab ich auch noch:
„Miss [Gertrude] Stein blickt gerne auf Felsen und Kühe, wenn sie von ihrer Arbeit aufschaut. Manchmal fahren die beiden Damen [Gertrude Stein und ihre Partnerin, Alice Toklas] in ihrem Ford herum, bis sie einen geeigneten Ort finden. Miss Stein steigt aus, setzt sich mit Stift und Notizblock auf einen Klappstuhl, und Miss Toklas treibt furchtlos eine Kuh in ihr Blickfeld. Wenn die Kuh nicht zu Miss Steins Stimmung passt, steigen die Damen wieder ins Auto und fahren zur nächsten Kuh.“

Mason Currey: Musenküsse. Die täglichen Rituale berühmter Künstler
Kein & Aber ISBN 978-3-0369-5694-7
14,90 Euro

Empfohlen von Dana Marti